Juli Zeh - Spieltrieb
"Am schlimmsten aber ging es den Büchern. Stoßweise hatte man sie aus dem Regal genommen und hingeworfen, jedes einzelne war links und rechts am Umschlag gefasst und ausgeschüttelt worden, und nun lagen sie alle auf dem Gesicht, die Seiten unter dem Gewicht des Leibes zerknickt, ein Haufen hilfloser Wesen it gebrochenem Genick." S. 253
Verlag: btb
Seiten: 565
Warum dieses Buch: In einer Zeit, die schon gar nicht mehr wahr zu sein scheint, hab ich mal ein Seminar über "Der Mann ohne Eigenschaften" besucht. Im Rahmen dessen war auch von Spieltrieb die Rede und ich glaube mich erinnern zu können, dass der Lehrveranstaltungsleiter, den ich sehr geschätzt habe, es empfohlen hatte... Ich habe es mir dann ziemlich bald gekauft und - wie es sich als gestresste Studentin gehört - erst mal für einige Jahre im Regal vergessen. Hüstel.
Das sagt der Klappentext: Die atemberaubende Geschichte zweier Jugendlicher, die ein ungeheuerliches Spiel antreibt: Es geht um Sex, Verführung und Macht, um Hass und Liebe - bis aus dem Spiel schließlich bitterer Ernst wird...
Das sage ich: Nicht umsonst scheint die Autorin in Spieltrieb mehrfach Den Mann ohne Eigenschaften zu erwähnen. Es wirkt, als hätte sie versucht (!) ein ähnlich bedeutsames Werk zu schreiben und sich irgendwie an Musil anzulehnen... Ein eher ehrgeiziges Projekt
Wo fange ich bloß an? Vielleicht erst mal ein bisschen Grundsätzliches... Bei Spieltrieb handelt es sich um einen Roman, dessen Handlung auch auf 100 Seiten erzählt werden könnte. Er lebt von philosophischen Exkursen und sprachlichen Konstruktionen. Außerdem finden sich Haufen an literarischen Verweisen, über die man sich als Viel-Leser (und -Leserin natürlich) freuen kann.
Der Stil ist wirklich Matapher-überladen, das kann man mögen, so wie ich... wenn man das aber nicht mag, erscheint einem Spieltrieb möglicherweise vor allem als eines: Zu lang.
Die Handlung scheint unendlich aufgeplustert, von jeder Figur erfährt man seitenweise Hintergrundgeschichte (alles ausgeschmückt mit einer Metapher, die die nächste jagt) und ebenso seitenweise darf man den philosophischen Gedanken jeder dieser Figuren folgen.
Ich kann mir wirklich gut vorstellen, dass man das unerträglich finden kann. Ich fand es allerdings großartig! Ich liebe den Stil in Spieltrieb, ich habe mich über jeden intertextuelle Verweis riesig gefreut und ganz gespannt die philosophischen Ausführungen verfolgt. Stilistisch waren sie fantastisch.
Inhaltlich hingegen konnte ich nicht so recht etwas Neues finden. Wenig, dass mich zum Nachdenken angeregt hat. War alles schon mal da, kennt man schon, muss man sowas noch erwähnen? Von diesem Blickwinkel aus, wirken die stilistischen Ausschmückungen ein bisschen übertrieben. Hochtrabende Verpackung für bereits durchgekauten Inhalt... Es wirkt, als habe die Autorin mit sprachlichen Kunstgriffen versucht, möglichst intellektuell zu klingen, damit man sie so wenig wie möglich versteht und so wenig wie möglich die Allgemeinplätze erkennt, die dahinter stehen.
Aber naja, mir hat der Stil eben doch so gut gefallen, dass ich darüber hinwegsehen kann.
Dann ist da noch die Handlung. Grundsätzlich spannend. Nette Interpretation der Spieltheorie.
Man muss aber schon eine gewisse Anstrengung aufbringen, um sich darauf einzulassen. Die Hauptfiguren sind Schüler, der Roman spielt hauptsächlich in ihrer (schulischen) Umgebung.
Und dann stolpert man über
"Ich breche keine Lanze für die Anarchie. Ich schildere ihnen nur die spezielle Müdigkeit, die jeden befällt, der sich anhören muss, was gut und böse, richtig und falsch sei, obwohl niemand mehr die Grundlagen dieser Unterscheidung zu benennen vermag. Moral dient der Herbeiführung von Berechenbarkeit." S. 552
Zeiget mir eine Sechzehnjährige, die auch nur ansatzweise so spricht, bitte. Meines Wissens nach, braucht man heutzutage mindestens eine Beleidigung, gefolgt von einem "Alta!", um einen jugendsprachlich korrekten Satz zu bilden. Und selbst wenn das Buch schon älter ist... Auch damals hat NIEMAND so gesprochen. Und auch nicht über solche Dinge nachgedacht, wie die Protagonisten es tun. Und wenn es doch jemand getan, und sich auf ein solches Spiel eingelassen hätte, wie die "uuuh, wir sind die Urenkel der Nihilsten"-Jugendlichen in diesem Buch, hätte er spätestens bei den Konsequenzen seines Blödsinns den Schwanz eingezogen.
Es hat einfach nicht gepasst. Für mich ist die Jugend (von damals wie von heute) einfach mehr "Fack ju Göte" und weniger Nietzsche.
Daran anknüpfend ein abschließendes Wörtchen zu den Figuren: Die Hintergrundinformationen zu den Akteuren geben der Handlung einen sehr schönen Rahmen. Durch die philosophisch anmutenden Diskussionen, die sie miteinander führen lassen sich wunderbar ihre Motive verstehen.
Aber die Hauptfigur, Ada, fand ich trotzdem so unglaublich unsympathisch. Wie kann man auch jemanden sympathisch finden, der so eingebildet und von seiner Denkweise so überzeugt ist? Jaaa, die Kleine hat nicht nur alles verstanden sondern überzeugt auch ruck-zuck jede erwachsene Figur, der sie begegnet, weil.. Tja, die hat die Welt wohl einfach gecheckt, nicht wahr? Brrr!
Fazit: Das Buch hat sehr viel Gutes: Sprachlich zum Beispiel. Auch der Aufbau der ganzen Geschichte lässt erkennen, dass sich die Autorin tatsächlich etwas gedacht hat, bei dem was sie tut. Und das mag ich! Es hat mir im Großen und Ganzen Spaß gemacht, das Buch zu lesen. Auch die Handlung ist an sich ziemlich spannend.
Aber um so richtig von diesem Buch begeistert zu sein, war mir das Lesen zu anstrengend: Es war anstrengend, die wunderschön verpackten aber eigentlich eher ausgelutschten Ergüsse der Protagonisten hinzunehmen. Es war anstrengend, die Tatsache auszublenden, dass die Figuren, die da über Spieltheorie und Moral philosophieren als würden sie auf Godot warten, Jugendliche im Jahr 2000 sein sollen. Und es war anstrengend sich zu beherrschen, wegen der schrecklich prätentiösen und affektierten Art der Protagonistin das Buch nicht gegen die Wand zu werfen.
Ich hätte gerne mehr gegeben.. aber nach gründlichem Nachdenken gebe ich drei Hütchen.
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